skizziert, geschnitten, abgehobelt und gedruckt - Gedanken zum Bild-erleben mit Graupappe und Offsetfarben

 

Die Jahre 1977-1981 waren im Nachhinein für mich sehr prägend. In dieser Zeit begegnete ich in den Seminaren von Prof. Kästner der spannenden Welt der experimentellen Druckgrafik. Die Möglichkeit, dass man mit Buchbinderpappe und Offsetfarben drucken konnte eröffnete mir vollkommen neue Sichtweisen. Kästner nannte dieses Druckverfahren unspektakulär „Pappschnitt“.

Gegenüber anderen grafischen Druckverfahren erlaubte diese Technik ausgesprochen malerische und impulsive Vorgehensweisen. Jede erdenkliche Art der Einkerbung von der feinsten Ritzung bis zum breiten Kerbstrich ist denkbar. Diese Technik gibt jeden Übergang wieder, jeden Ton, sogar jede Farbe; sie wirkt gleichzeitig hart und weich.

Druckgrafisch arbeitende Künstler pflegen während der Arbeit Probedrucke vorzunehmen, um zu sehen, wie weit sie sich schon dem Ziel genähert haben. Dies ist bei diesem Verfahren schwerlich möglich. Insoweit ist die Bearbeitung des Druckstocks ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Sobald man zu schneiden beginnt, wird man von der Dynamik des Schneideprozesses ergriffen.

In den Motiven reagiere ich auf Sinneseindrücke während des Tagesablaufes. (Kinderzeichnungen, Berichterstattungen in den Medien, Eindrücke von Exkursionen und Reisen, Fotografien von alten Illustrierten, ...

 

Titelbild Zeitschrift "DU" von 1960

Kinderzeichnung


In der Regel erdenke ich die Skizzen nicht im Voraus, sondern diese folgen der Veränderlichkeit der Gedanken. Eine Vorskizze wird wieder zerstört… und bleibt trotzdem in den Kerben sichtbar. Alle Schnitte, Abtragungen, Schleifspuren und Korrekturen prägen sich unauslöschlich in das „Gedächtnis“ des Druckstocks ein. Die Arbeitsspuren bleiben als Zeugnisse der Vorarbeit und des Druckprozesse sichtbar. Aber am Ende des Schneidevorgangs ist nichts verloren gegangen.

In der darauf folgenden Druckphase findet sich der gesamte Verlauf in allen Stationen wieder.

Ich wechsle nicht relativ schnell (sobald die Farbe im Druck durchscheint) zur Tiefdruckeinstellung. Die relativ unperfekten Hochdruckabzüge entfalten eine große malerische Vielfalt, zeigen z.T. noch schmutziges Schwarz, weißen Lücken auf und brillieren durch intensive Farbgebung. Die nachträgliche Bearbeitung (traité = verändert) mit Aquarell, Gouache und/oder Acryl führt nochmals auf die Spuren des kompletten Prozesses und erweist sich damit als Zirkelschluss.

 


Im Folgenden galt es noch, einen adäquaten Namen für diese Abenteuer zu finden. "Druckgrafische Exponate mit Offsetfarben und nachträglicher Veränderung" ist eine etwas sperrige Ausdrucksweise für das Geschehen. Deswegen erscheint mir im Moment die Bezeichnung "gravure offset (traité)" angemessen.

 

Beim Drucken denke ich oft an HAP Grieshaber :

„ Drucken ist eine Begegnung des Zufalls mit dem Sinnvollen. Drucken bedeutet das Erlebnis des Machens mit gleichzeitiger Kontrolle.“