m-ein Weg zum Druck

 

Der Druckgrafik ist im Verlauf des letzten und diesem Jahrhundert, vor allem aber nach der Blüte zur Zeit des Expressionismus, nachgesagt worden, dass seine Bedeutung als künstlerisches Ausdrucksmittel erschöpft sei. Auf dem Sektor der Bild-Medientechnik sind inzwischen erstaunenswerte und unglaubliche Entwicklungen zu beobachten. Ist nun der Rückgriff auf diese Technik rückwärtsgewandte Suche nach „Ursprünglichkeit“, nach materialunmittelbarem Arbeiten oder schlummern in der Druckgrafik noch gestalterische Möglichkeiten, die das Spektrum künstlerischer Erscheinungsformen (Malerei, Zeichnung, Fotografie,…) ergänzen oder erweitern können. Und…… lassen sich mit diesem Medium auch heute noch relevante Aussagen zu Vorgängen und Fragen unsere täglichen Lebens, Denkens und Fühlens treffen?

 

Diese Fragen im Kopf habe ich mich aufgemacht, um Ausschau zu halten und die Möglichkeiten der Druckgrafik auszuloten.

 1. Gibt es zum Beispiel Möglichkeiten, Hoch- und Tiefdruck zu verbinden?

 2. Macht es Sinn, nachträglich in die Druckergebnisse einzugreifen?

 3. Gibt es malerisch und grafisch anmutende Exponate?

 4. Welche Rolle spielt die Notation, wenn ich nachträglich in die einzelnen Abzüge eingreife?

 5. Gebe ich dem Zufall eine Chance?

 6. Abstraktion und Gegenständlichkeit. Werde ich präferieren?

 

Auf der Suche hatte ich im Gepäck:

 Das Studium der Kunst- und Kunsterziehung in Karlsruhe und Heidelberg bei begabten Professoren.

Die berufliche Tätigkeit in der Vermittlung der Didaktik und Methodik des Faches in Schule und Hochschule.

Die nie beantwortete Frage nach Erweiterung und Verbindung von Techniken, Themen und Möglichkeiten der Druckgrafik.

Die Gewissheit und praktische Erfahrung, dass es bei jeder Form der Druckgrafik nicht nur bloße Vervielfältigung geht, sondern immer in erster Linie um die Stimmigkeit des Motivs mit den Möglichkeiten des Druckmediums.

 Die zufällige Lektüre eines Anzeigenblatts brachte mich einen gehörigen Schritt weiter. Ein Stahlgraveur (der Beruf ist inzwischen größtenteils ausgestorben) aus der Nähe von Lörrach /Baden annoncierte eine hochwertige Druckpresse wegen des Eintritts in das Rentenalter. Kurz entschlossen kaufte ich das tonnenschwere Ungetüm ……. und die Folgezeit war geprägt von Experimenten, Irrwegen, Erfolgen und der zunehmenden Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein.

 

 

 

Aber noch etwas wirkte: Eine gehörige Abneigung gegen die unantastbaren und perfekten Hervorbringungen der Gewerbegrafik und der industriellen Bildproduktion. Seit der „Infizierung“ durch die Möglichkeiten der Druckgrafik in der Studienzeit war mir bewusst, dass die zahlreichen Techniken des Drucks weitaus spannendere Ergebnisse als Gemälde oder Zeichnungen hervorbringen können. Es wäre zu mühsam und unergiebig, die experimentellen Erprobungen, Versuche und Vorerfahrungen im Einzelnen zu beschreiben.

Nach 2 Jahren (2013 – 2015) fühlte ich mich drucktechnisch angekommen und es kristallisierten sich folgende „ 3 Basics“ heraus:

 

Als Druckstock erweist sich die Buchbinderpappe (auch Graupappe) für dieses spezielle Hoch-Tief-Druckverfahren als ideal, um die Verbindung zwischen malerischer Ausdruckskraft und linearer Umsetzung zu gewährleisten und mit unerwarteten aleatorischen Ergebnissen aufzuwarten.

Offsetfarbe (diese ist in der Regel nur in Druckereien oder Spezialgeschäften erhältlich) hat diese überragende Eigenschaft, dass sie sich beim Druckprozess nicht vermischt und bei wachsendem Anpressdruck der Walze schichtweise auf das Papier übergeht.
Die abschließende (zufällig entdeckte)  komplette Einfärbung des Druckstocks mit schwarzer Offsetfarbe verstärkt auf kongeniale Weise den malerischen Aspekt zu Beginn des Druckprozesses und bleibt bei den letzten grafisch anmutenden Abzügen in den Lineaturen in Teilen stehen.

 

 

 

Abenteuerlustig, wenn nicht sogar „hemdsärmlich“ waren die ersten Wochen, Monate und Jahre.
Nach 2 Jahren sind folgende Vorkehrungen, Richtlinien und Bearbeitungshinweise ein unbedingtes Muss:

Penible Sauberkeit, Schutzkleidung und Einmalhandschuhe beim Drucken ist Voraussetzung für das Gelingen.

Bevor das einzelne Druckergebnis weiterbearbeitet wird, muss es mindestens 2 Wochen trocknen.

Das Passepartout verhindert das Aufliegen des Bildes auf dem Glas des Rahmens. Dieses sollte nur vom Fachmann einer Rahmengalerie geschnitten und angepasst werden. Es sollten nur säurefreie Passepartouts und spezielle Archiv- Klebebänder für die Präsentation benutzt werden. Ein professioneller (meist nicht günstiger) Rahmen lohnt sich auf jeden Fall.

 

Es bleibt noch der Versuch einer Beantwortung der anfangs gestellten Fragen:

 ad 1: Ein eindeutiges Ja ist die Antwort. Mit Offsetdruckfarbe und Buchbinderkarton kann diese technische und künstlerische Herausforderung bewerkstelligt werden.

ad 2: Auch diese Frage ist zu bejahen. Da Buchbinderkarton als Druckstock im Gegensatz etwa zu Kupfer oder Hirnholz eine „weichere“ Oberfläche aufweist, ist es nie möglich einen handwerklich perfekten Abzug zu realisieren.

 

 

Es bleiben bei allen gedruckten Blättern, mitunter sehr reizvolle, Fehlstellen übrig, die das Ergebnis beeinflussen. Der Versuch, durch handwerklich exakte und saubere Vorgehensweise das Ergebnis zu optimieren scheiterte durch die Vorgaben des Materials. So entschloss ich mich, diese Unmöglichkeit als künstlerische Herausforderung zu begreifen…… und freute mich auf die kleinen Unzulänglichkeiten als Bildanlass zur nachträglichen Bearbeitung.

 

ad 3: Natürlich Ja. Die Offset-Druckfarbe steht vor dem Druck in 2 Schichten etwa 3 mm auf dem Druckstock. Durch die Erhöhung des Anpressdrucks bei jedem Abzug um ca. 10 Grad zeigen die ersten Druckergebnisse eine reliefartige, fast plastische und malerische Oberflächenstruktur. Die letzten Abzüge sind grafisch filigran und geprägt durch feinste Lineaturen.

 

ad 4: Die sukzessive Erhöhung des Anpressdrucks und das nachträgliche, unterschiedliche Eingreifen in die entstandenen Abzüge bedeuten natürlich, dass kein Blatt dem anderen gleicht. Am Ende unterscheiden sich alle Drucke von einander und sind damit Originale. Sie bewegen sich somit im Grenzbereich von Druckgrafik und Zeichnung. Die Notation (z.B. 3/12) ist von der traditionellen tradierten Druckgrafik übernommen und bedeutet nur dass z.B. dass dieses Exponat das 3. von insgesamt 12 Abzügen ist.

 

ad 5: Nachdem ich in den ersten Monaten und Jahren der Perfektion des Druckvorgangs und damit Reinheit und Sauberkeit des Abzugs absoluten Vorrang gegeben hatte, stellte sich sukzessiv heraus, dass dieses Vorhaben nicht zu realisieren ist. Die Oberfläche des Buchbinderkartons weist durch seine Beschaffenheit mikroskopisch kleine Unregelmäßigkeiten und Unebenheiten auf. Die von Hand gerührte und auf der Palette vermischte Offsetdruckfarbe beinhaltet winzige Lufteinschlüsse und partielle Verdickungen. Erst die Akzeptierung dieser scheinbaren Unzulänglichkeiten erlaubte mir meinen eigenen „Paradigmawechsel“ und….. jetzt sind kleine Fehlstellen und die kompositorischen Störquellen „Freunde“ statt „Gegner“. Ich freue mich beim Druckvorgang auf diese zufälligen und ungewollten Einschlüsse und Unsauberkeiten. Sie sind Bildanlass, Herausforderung und Chance für eine nachträgliche aleatorische Bearbeitung. Somit schließt sich der Kreis und ich werde zunehmend der Übereinstimmung von Ausgangsmaterial, technischer Durchführung, Komposition, Motiv und Bildanlass gerecht.

 

ad 6: Bedingt durch die Bearbeitung mit dem Cutter und dem Herausheben der Vertiefungen verbietet sich ein kleinteiliges, fein ziseliertes und nah an der Natur angelehntes Arbeiten de facto. Die Motive resultieren aus Kinderzeichnungen, Eindrücken von Reisen, Berichterstattungen in Medien, Skizzen vor der Natur, …. und sind dadurch Transformationen und Übersetzungen der Realität. Somit sind alle Bilder nie konkret und in erster Linie abstrakt und ungegenständlich. Überzeugend real sind die Arbeitsspuren während des Prozesses. Am Ende des Druckvorgangs geht keine Linie verloren und der gesamte Verlauf des Druckvorgangs (Schneiden, Ausheben, Anpressdruckstärke und der nachträglicher Eingriff in das Ergebnis…) spiegelt die Realität wieder.

 

Da es in der Literatur noch keinen entsprechenden Hinweis gibt und die Arbeitsbeschreibung des Druckprozesses (Hoch -Tiefdruck mit Offsetfarben und nachträglicher Veränderung) sich als zu sperrig erwiesen hat, habe ich mich entschlossen, diesem neuen Verfahren den vorläufigen Arbeitsnamen „Grafique offset traité“ zu geben.

frz. traité (= nachträglich verändert, nachgebessert)